· 

Technologien glaubwürdig, authentisch und verständlich in Geschichten einbauen

Obwohl ich neben Retrovolution bisher keinen weiteren Science-Fiction-Roman geschrieben habe, spielt in vielen meiner anderen Romanen Technikwissenschaft eine Rolle. Sei es das Konzept der Zeitreisen in Zeittüren, oder die Funktionsweise der Wiedergeburt in Achtbeinige Seelen. Und auch Bücher wie Flimmernde Schatten oder Vierjährling unterliegen straffen Regelwerken.

Bildquelle: Yves Gorat Stommel

Die Fragen, die sich mir – und vielen anderen AutorInnen – in dem Zusammenhang immer wieder stellen, sind dementsprechend:

  • Wie viel Technik- und Regelwerkerklärung kann man der/dem Lesenden zutrauen?
  • Und in welcher Art und Weise sollte die Informationsvermittlung erfolgen?

 

Schaut man sich die Literaturlandschaft an, so kommt (Vorsicht: subjektive Aussage) im Bereich Science-Fiction der Großteil der Romane ohne detaillierte Erklärung der technischen Hintergründe klar. In Zurück in die Zukunft wird kaum erklärt, warum der DeLorean mindestens 88 mph schnell fahren muss, um die Zeitreise antreten zu können. In Star Wars (oft eher als Fantasy eingeordnet, siehe diesen früheren Blogeintrag) gibt es Raumfahrtzeuge und Lichtschwerter, deren Wirkungsweisen im Dunkeln bleiben. Und auch Dune (der Wüstenplanet) kommt ohne technische Informationen zur genutzten Technologie aus.

 

Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele. Zu nennen wäre unter anderem Das Darwin-Virus von Greg Bear. Diese Art von Technikkrimi kann tief in die Materie eintauchen – teilweise sogar so tief, dass sich der Text teilweise wie ein Lehrbuch liest.

 

Es gibt in der Belletristik somit beide Ansätze – Technikerläuterung und keinerlei Technikinformation –, wobei derjenige mit wenig Technologiewirkungsweisen-Beschreibung am Verbreitesten scheint.

 

Warum? Vermutlich stoßen wir hier bereits auf die Antwort der obigen ersten Frage: Die meisten Lesenden interessiert es nicht besonders, wie ein Gerät genau funktioniert. Genau so wenig wie die meisten Menschen nicht hinterfragen, wie ein heutiger Fernseher es schafft, bewegende Bilder darzustellen.

Doch wie die Literatur selbst ist auch die Leserschaft divers. Es gibt einen Markt für verschiedenste Geschichtenarten. Und zwischen Dune/Star Wars/Zurück in die Zukunft und Das Darwin-Virus gibt es eine Menge Abstufungen. So nutzt der gefeierte SciFi-Autor Ted Chiang fast immer eine spezifische technische Entwicklung als die Basis für seine Kurzgeschichten. So kommt in Die Wahrheit vor Augen (Englisch: Liking what you see) eine Erfindung zum Einsatz, die es den Patienten nicht länger erlaubt, die äußere menschliche Attraktivität zu erkennen. Obwohl die Erfindung des notwendigen medizinischen Eingriffs die Basis für die gesamte Geschichte bildet, erklärt Ted Chiang die Wirkungsweise nur bis zu einem Level, welches für die Glaubwürdigkeit und die Storyline relevant ist.

Dementsprechend kann die erste oben gestellte Frage (Wie viel Technik- und Regelwerkerklärung kann man der/dem Lesenden zutrauen?) erst beantwortet werden, wenn die Rolle der Technologie in der Geschichte bekannt ist. Ist sie bloß unterstützend – zum Beispiel das Lichtschwert in Star Wars –, oder stellt sie den eigentlichen Kern der Geschichte dar, wie es bei Das Darwin-Virus der Fall ist? 

Bildquelle: https://www.pinterest.ca/pin/442337994625605022/

Je nachdem sind weniger oder mehr Informationen notwendig. Im Fall des zuletzt genannten Romans allein deswegen, um die Hintergründe der Geschichte zu erörtern und eine gewisse Glaubwürdigkeit herzustellen. Wohl kaum einer fragt sich, wie ein Lichtschwert funktioniert. Doch wenn in Das Darwin-Virus der Plot auf der Genetik basiert, braucht es ein gewisses Verständnis genau dieser.

 

(Fun fact: Zur visuellen und inhaltlichen Unterstützung der AutorInnen (und der LeserInnen) wurde sogar die „Mohs Scale of Science Fiction Hardness“ entwickelt, mit der Zahl 1 für zum Beispiel Star Wars und die Zahl 5 für Das Darwin-Virus. Die Skala weist sogar noch die Zahl 6 auf, bei der innerhalb der tatsächlichen (historischen und technologischen) Gegebenheiten geschrieben wird.)

 

Andrew Knighton gibt AutorInnen einige hilfreiche Fragen zur notwendigen Technikbeschreibung mit auf den Weg:

  • Gesellschaft: Weswegen wurde eine bestimmte Technologie erfunden? Welches Problem in der Gesellschaft sollte sie lösen? Diese Frage für sich selbst zu beantworten, erlaubt nicht nur eine in sich stimmige Geschichte zu konstruieren, sondern mag sogar zu neuen Plot-Wendungen führen.
  • Design: Nicht nur die Technologie an sich sagt etwas über die Gesellschaft aus. Das Design verrät, wie die Technologie zur Anwendung kommt.
  • Große Lüge: Statt in vielen kleinen Punkten von dem (heute) technisch machbaren abzuweichen, ist es glaubhafter, nur in einem wesentlichen Punkt zu schummeln. Zum Beispiel der Annahme, dass das Reisen schneller als Licht DOCH möglich ist.
  • Technologiereife: Ist die Technologie noch in der Entwicklung oder bereits breit verfügbar? Wer nutzt sie?
  • Auswirkungen: Was sind/waren die Auswirkungen der Technologie die auf Gesellschaft – und auf die Umwelt. Dies hat einen direkten Einfluss auf die zu beschreibenden Settings (man denke nur an die Zerstörung von Pandora in Avatar, um an bestimmte Rohstoffe zu gelangen).

Am Ende helfen die obigen Punkte zu verstehen, welche Aspekte der Technologie beschrieben werden sollten – und in welchem Zusammenhang. Andrew Knighton stellt dabei fest, dass „Die Entwicklung eines überzeugenden Systems von Technologien […] eine großartige Inspiration für Ihre Erzählung sein [kann].“

Kommen wir zu der zweiten Frage: In welcher Art und Weise sollte die Informationsvermittlung erfolgen?

Tatsächlich können sowohl für keine als auch für die detaillierte Technikbeschreibung ähnliche stilistische und inhaltliche Ansätze genutzt werden.

 

So zählt Julie Hyzy unter anderem folgende Regeln auf:

Bildquelle: https://arstechnica.com/gaming/2017/09/is-beaming-down-in-star-trek-a-death-sentence/

  • Vergleich: Bei noch nicht erfundenen Technologien hilft der / dem Lesenden der Vergleich mit bereits heute existierenden Technologien.
  • Bezeichnung: Die Technologie braucht einen eingängigen Namen (wir erinnern uns an das „Lichtschwert“ aus Star Wars)
  • Regeleinhaltung: Wenn Regeln zur Wirkung und Nutzung der Technologie aufgestellt wurden, ist sich daran zu halten! Das gilt sowohl für Science-Fiction als auch Fantasy im Allgemeinen (Stichwort: World Building)
  • Hauptdarsteller: Es geht immer um die Figuren der Geschichte. Technologie ist nie der Hauptdarsteller (insofern wir selbstständig agierende künstliche Intelligenz ausklammern).

 

Brandon Miller listet eine Reihe weiterer hilfreicher Tipps und Tricks auf:

  • Klischees: Nutze bereits bestehende Klischees, wie Hologramme. Niemand erwartet, dass diese erklärt werden.
  • Neugierde: Erwecke Neugierde, in dem anfangs bloß die Funktion der Technologie gezeigt wird. Dann ist die / der Lesende später auch bereit, sich mit der Wirkungsweise auseinanderzusetzen.
  • Novize: Führe eine Technologie anhand einer Figur ein, die die Technologie noch nicht kennt und diese Schritt für Schritt durch eine weitere Figur erläutert bekommt.

 

Schließlich möchte ich noch zwei naheliegende Hilfestellungen hinzufügen:

  • Lesen: Indem Werke anderer AutorInnen gelesen werden, übernimmt man einige handwerkliche Tricks.
  • Recherche: Nutze vorhandene wissenschaftliche Lektüre, um die Wirkungsweise und die wesentlichen limitierenden Faktoren einer Technologie kennenzulernen. Star Trek Fans wollen vermutlich gar nicht wissen, wie der Transporter funktioniert, doch die Glaubwürdigkeit wird erhöht, indem auf die wesentliche technologische Schwachstelle eingegangen wird: die Heisenbergsche Unschärferelation wird durch den frei erfundenen (und nicht näher erläuterten) Heisenberg-Kompensator neutralisiert.

 

Nun stellt sich mir persönlich natürlich die Frage, wie ich bei Retrovolution mit diesem Thema umgegangen bin. Ich muss zugeben, dass ich die obige Analyse sinnvollerweise VOR dem Schreiben des Romans durchgeführt hätte. Nichtsdestotrotz erklärt sich mir die Wahl einiger stilistische Ansätze nun im Nachhinein:

 

Zuallererst wird Retrovolution von Technologien untermauert, die auf die forcierte Evolution der Menschheit abzielt. Und diese hat wiederum das implizite Ziel der Klärung der Seinsfragen. Aufgrund der psychologischen Auswirkungen von Technologie und Evolution braucht es eine gewisse Detailtiefe bei der Erklärung der Technologien, da diese am Ende den Plot treiben. Die erste obige Frage ist damit für Retrovolution beantwortet: Die Geschichte liegt auf der Skala Star Wars - Das Darwin-Virus deutlich näher an letzterem.

 

Die zweite Frage nach der stilistischen Beschreibung zeigt, dass die meisten der obigen Tricks angewandt wurden: Vergleich (mit heutigen Technologien wie Virtual Reality), Bezeichnung (von Technologien wie dem Lichtfeld), Regeleinhaltung (bei der Anwendung von Genetik), Hauptdarsteller (es sind immer die Bedürfnisse der Menschen, welche die Technologie-Entwicklung vorantreiben), Klischees (z.B. selbstfahrende Autos), Neugierde (die Entstehung und Limitierung des Bewusstseins) und Novize (die Wirkung von Psychopharmaka erlernt einer der Hauptdarsteller im Laufe des Buches). Einerseits werden im Laufe der Geschichte bestimmte Technologien weiterentwickelt (zum Beispiel die Emulation), andererseits zeigen sich die Auswirkungen bereits existierender Technologien (zum Beispiel der Genetik).

 

Die zweite Frage nach der stilistischen Beschreibung zeigt, dass die meisten der obigen Tricks angewandt wurden: Vergleich (mit heutigen Technologien wie Virtual Reality), Bezeichnung (von Technologien wie dem Lichtfeld), Regeleinhaltung (bei der Anwendung von Genetik), Hauptdarsteller (es sind immer die Bedürfnisse der Menschen, welche die Technologie-Entwicklung vorantreiben), Klischees (z.B. selbstfahrende Autos), Neugierde (die Entstehung und Limitierung des Bewusstseins) und Novize (die Wirkung von Psychopharmaka erlernt einer der Hauptdarsteller im Laufe des Buches). Einerseits werden im Laufe der Geschichte bestimmte Technologien weiterentwickelt (zum Beispiel die Emulation), andererseits zeigen sich die Auswirkungen bereits existierender Technologien (zum Beispiel der Genetik).

 

Wollt Ihr zu diesen Themen direkt in den Austausch mit mir treten? Dann kommt gerne am 19. Mai zur Metropol Con und besucht Wolf Heiner, Nils Westerboer und mich beim Panel „Wie baue ich Technologien glaubwürdig, authentisch und verständlich in meine Geschichten ein?“

Kommentar schreiben

Kommentare: 0